Unternehmenskultur und Digitalisierung

Während viele Unternehmen Millionen in die neuesten Technologien investieren, vergessen sie oft das Herzstück jeder Organisation: ihre Kultur. In der digitalen Ära des 21. Jahrhunderts wird Technologie oft in den Vordergrund gestellt, während die Unternehmenskultur vernachlässigt wird. Forschungen haben jedoch gezeigt, dass kulturelle Aspekte wie Mitarbeiterengagement, Zusammenarbeit und offene Kommunikation maßgeblich zum Erfolg von Digitalisierungsprojekten beitragen. Unternehmen müssen nicht nur in Technologie investieren, sondern auch in den kulturellen Aspekt, um die Herausforderungen der Digitalisierung zu bewältigen.

Was ist Unternehmenskultur?

Die Unternehmenskultur, oft definiert durch das Schein’sche Modell, umfasst drei Ebenen: Artefakte, espoused values (offiziell geteilte Werte) und Grundannahmen. Dieses Modell betont, dass es nicht nur um das sichtbare Verhalten geht, sondern auch um tiefliegende Überzeugungen und Werte, die die Aktionen der Mitarbeiter lenken (Quelle: Edgar H. Schein, “Unternehmenskultur”, 1985).

Edgar H. Schein’s Modell der Unternehmenskultur (1985)

Edgar H. Schein, ein bedeutender Forscher im Bereich Organisationspsychologie und Unternehmenskultur, hat ein Modell entwickelt, um die verschiedenen Ebenen der Unternehmenskultur zu beschreiben und zu analysieren. Sein Modell unterteilt die Kultur in drei Ebenen:

  1. Artefakte:
    • Dies ist die sichtbarste Ebene der Kultur.
    • Hierzu gehören alle physischen und greifbaren Dinge, die man in einer Organisation sehen kann, wie z.B. die Art und Weise, wie Menschen sich kleiden, die Büroeinrichtung, oder wie Menschen miteinander interagieren.
    • Artefakte sind jedoch schwer zu interpretieren, weil sie nur an der Oberfläche sichtbar sind.
  2. Espoused Values (offiziell geteilte Werte):
    • Diese Ebene umfasst die in der Organisation geteilten Werte, Normen und Ziele.
    • Es handelt sich um bewusste Strategien, Ziele und Philosophien.
    • Diese Werte können in Unternehmensmissionen, Visionen oder Leitbildern ausgedrückt werden.
  3. Grundannahmen:
    • Dies ist die tiefste und am wenigsten sichtbare Ebene der Kultur.
    • Es handelt sich um unbewusste, selbstverständliche Annahmen, Überzeugungen und Gedanken, die im Laufe der Zeit innerhalb der Organisation entwickelt wurden.
    • Sie sind oft so tief in der Kultur verankert, dass sie als gegeben und nicht hinterfragt werden.
    • Grundannahmen bestimmen, wie Mitglieder einer Organisation die Welt wahrnehmen und interpretieren, und sie beeinflussen ihr Verhalten auf einer grundlegenden Ebene.

Kritik am Schein’s Modell:

  1. Komplexität der Realität: Einige Kritiker argumentieren, dass Schein’s Modell zwar einen nützlichen Rahmen bietet, aber die Komplexität der realen Unternehmenskulturen nicht immer vollständig einfangen kann. Kultur ist dynamisch und ständig im Wandel, was durch ein dreistufiges Modell möglicherweise nicht ausreichend dargestellt wird.
  2. Eindimensionale Betrachtung: Das Modell neigt dazu, Kultur als monolithisch und homogen darzustellen. In der Realität können jedoch mehrere Subkulturen innerhalb einer Organisation existieren.
  3. Fehlende Berücksichtigung von externen Einflüssen: Externe Faktoren wie Marktveränderungen, Technologietrends und gesellschaftliche Bewegungen können die Unternehmenskultur beeinflussen. Schein’s Modell fokussiert sich eher auf interne Aspekte.

Modernere Ansätze im agilen Umfeld für Produktorganisationen:

  1. Agile Kulturmodelle: Diese Modelle betonen die Bedeutung von Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und Kundenzentrierung. Werte wie Transparenz, Feedback und kontinuierliches Lernen stehen im Vordergrund. Das Spotify-Modell ist ein Beispiel, das Squads, Tribes, Chapters und Guilds verwendet, um eine dynamische und agile Organisationsstruktur zu beschreiben.
  2. Lean-Unternehmenskultur: Hier steht die Verschwendungsbeseitigung und stetige Verbesserung im Fokus. Das Lean-Denken betont den Wertstrom und die Reduzierung von Verschwendung in allen Unternehmensbereichen.
  3. Wachstums-Mindset: Basierend auf der Arbeit von Carol Dweck betont dieser Ansatz die Bedeutung von Lernen, Anpassungsfähigkeit und die Anerkennung, dass Fähigkeiten entwickelt und nicht festgelegt sind.
  4. DevOps-Kultur: In Produktorganisationen, insbesondere in der Softwareentwicklung, betont die DevOps-Kultur die Zusammenarbeit zwischen Entwicklungs- und IT-Betriebsteams, um Produkte schneller auf den Markt zu bringen und dabei Qualität und Sicherheit zu gewährleisten.

Ein Versuch einer Definition von Unternehmenskultur

“Unternehmenskultur bezeichnet das tief verwurzelte System aus Werten, Überzeugungen, Normen und Verhaltensweisen, das innerhalb einer Organisation geteilt wird. Sie manifestiert sich in den alltäglichen Handlungen, Entscheidungen und Interaktionen der Mitarbeiter und wird durch gemeinsame Erfahrungen, Geschichten und Rituale geprägt. Diese Kultur dient als Leitfaden für das Verhalten der Mitglieder und beeinflusst, wie sie Probleme wahrnehmen, interpretieren und darauf reagieren. Sie reflektiert das kollektive “Programmieren” des Denkens in einer Organisation und unterscheidet sie von anderen Organisationen. Unternehmenskultur ist sowohl Produkt als auch Treiber der internen Dynamik, der Führung und der Anpassungsfähigkeit einer Organisation an ihre externe Umgebung.”

Digitalisierung: Ein Überblick

Die Digitalisierung hat die Geschäftswelt revolutioniert. Untersuchungen von Forrester Research haben gezeigt, dass Unternehmen, die digitale Technologien effektiv einsetzen, in der Regel höhere Umsätze und Gewinne erzielen als ihre Konkurrenten, die zurückbleiben (Quelle: Forrester, 2018).

Das Zusammenspiel von Unternehmenskultur und Digitalisierung

Kotters 8-Schritte-Modell für Veränderungen betont die Notwendigkeit, eine Kultur des Wandels zu schaffen, bevor tiefgreifende organisatorische Veränderungen eingeleitet werden. Dies ist besonders relevant für die Digitalisierung, bei der technologische Veränderungen oft tiefgreifende organisatorische Anpassungen erfordern (Quelle: John P. Kotter, “Leading Change”, 1996).

Das 8-Schritte-Modell von Kotter: Kotter argumentiert, dass es acht kritische Schritte gibt, die Organisationen durchlaufen müssen, um erfolgreiche Veränderungen durchzuführen. Diese Schritte sind:

Dringlichkeit erhöhen: Die Notwendigkeit der Veränderung kommunizieren.

Ein leitendes Koalitionsteam bilden: Eine Gruppe mit genügend Macht bilden, um die Veränderung zu führen.

Vision und Strategie entwickeln: Eine klare und verständliche Vision und Strategie für die Veränderung schaffen.

Die Vision kommunizieren: Die Vision in der gesamten Organisation kommunizieren.

Hindernisse beseitigen: Barrieren für die Veränderung eliminieren und Systeme oder Strukturen schaffen, die die Vision fördern.

Kurzfristige Erfolge schaffen: Frühzeitig sichtbare Verbesserungen erzielen, um das Momentum aufrechtzuerhalten.

Verbesserungen konsolidieren und weitere Veränderungen durchführen: Auf dem Momentum aufbauen und weitere Veränderungen einführen.

Die neuen Ansätze verankern: Die neuen Ansätze in der Unternehmenskultur verankern.

Widerstand gegen Veränderung: Kotter betont, dass Widerstand gegen Veränderung natürlich ist und dass Führungskräfte in der Lage sein müssen, diesen Widerstand zu erkennen und darauf zu reagieren.

Die Rolle der Führung: Kotter unterscheidet zwischen Management und Führung und argumentiert, dass echte Führung – nicht nur Management – für erfolgreiche Veränderungen erforderlich ist.

Häufige Kritikpunkte an “Leading Change”:

  1. Zu linear: Einige Kritiker behaupten, dass Kotters 8-Schritte-Modell zu preskriptiv und linear ist. Sie argumentieren, dass Veränderung oft chaotisch und nicht linear ist.
  2. Nicht immer anwendbar: Einige Organisationen finden, dass das Modell nicht für jede Art von Veränderung oder für jede Unternehmenskultur geeignet ist.
  3. Zu sehr auf Führung zentriert: Während Führung unerlässlich ist, argumentieren einige Kritiker, dass Kotters Modell nicht genug auf die Rolle der Mitarbeiter und ihre Beteiligung am Veränderungsprozess eingeht.
  4. Nicht ausreichend auf kulturelle Aspekte eingegangen: Einige Kritiker meinen, dass Kotter den Einfluss der bestehenden Unternehmenskultur auf den Veränderungsprozess nicht ausreichend betont.
  5. Überaktualisierung des Dringlichkeitsgefühls: Das ständige Betonen der Dringlichkeit kann zu “Change Fatigue” oder Veränderungsmüdigkeit führen, insbesondere wenn es ständig neue “dringliche” Veränderungen gibt.

Die Vorteile einer positiven Unternehmenskultur in der digitalen Transformation

Deloitte und andere Studien haben gezeigt, dass Unternehmen mit einer “digitalen Reife” oft eine offene, experimentelle und kollaborative Kultur haben. Solche Kulturen fördern Innovation und beschleunigen die digitale Transformation.

Digitale Reife: Digitale Reife bezieht sich auf die Fähigkeit eines Unternehmens, digitale Technologien zu nutzen, um bessere Geschäftsergebnisse zu erzielen. Unternehmen, die in dieser Hinsicht reif sind, haben oft eine integrierte Strategie für Technologie und Geschäft, die von der Führung unterstützt wird.

Offene Kultur: Eine offene Unternehmenskultur fördert den freien Austausch von Ideen, Feedback und Kritik. Sie begünstigt auch flache Hierarchien und eine inklusive Führungsstrategie.

Experimentelle Kultur: Ein experimenteller Ansatz bedeutet, dass Unternehmen bereit sind, neue Ideen auszuprobieren und daraus zu lernen, selbst wenn dies zu Fehlern führt. Es betont das Konzept des “schnellen Scheiterns” – wenn eine Idee oder ein Projekt nicht funktioniert, wird es schnell identifiziert und korrigiert oder verworfen.

Kollaborative Kultur: Kollaboration bezieht sich auf die Fähigkeit von Teams und Abteilungen, effektiv zusammenzuarbeiten, Informationen zu teilen und gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Es betont Teamarbeit und grenzüberschreitende Kooperation.

Förderung von Innovation: Unternehmen, die eine offene, experimentelle und kollaborative Kultur pflegen, sind oft besser positioniert, um Innovationen zu fördern, da Mitarbeiter ermutigt werden, kreativ zu denken, Risiken einzugehen und zusammenzuarbeiten.

Beschleunigung der digitalen Transformation: Eine solche Kultur kann den digitalen Wandel unterstützen, indem sie die Akzeptanz neuer Technologien erleichtert, die Implementierung von Veränderungen beschleunigt und sicherstellt, dass die Mitarbeiter hinter der digitalen Vision des Unternehmens stehen.

Herausforderungen bei der Verschmelzung von Kultur und Digitalisierung

Die größte Herausforderung in der Digitalisierung ist oft der menschliche Widerstand gegen Veränderungen. Das ADKAR-Modell von Prosci betont die Stufen des Wandels (Awareness, Desire, Knowledge, Ability, Reinforcement) und kann als Leitfaden für Unternehmen dienen, die den kulturellen Wandel im Zuge der Digitalisierung anstreben.

Das ADKAR-Modell von Prosci ist ein Veränderungsmanagement-Framework, das den Menschen und ihre Reise durch den Veränderungsprozess in den Mittelpunkt stellt. Das Akronym “ADKAR” steht für die fünf sequentiellen Bausteine, die Einzelpersonen durchlaufen, wenn sie eine Veränderung erleben:

Awareness (Bewusstsein): Verstehen der Notwendigkeit der Veränderung. Bevor Menschen bereit sind, sich zu ändern, müssen sie die Gründe für die Veränderung verstehen. Dies betrifft das Bewusstsein darüber, warum die Veränderung notwendig ist und welche Risiken bestehen, wenn keine Veränderung stattfindet.

Desire (Wunsch): Die persönliche Entscheidung, die Veränderung zu unterstützen und sich daran zu beteiligen. Hier geht es um die Motivation des Einzelnen – das persönliche “Warum” hinter der Veränderung. Faktoren, die den Wunsch beeinflussen können, sind persönliche Erfahrungen, organisatorische Faktoren oder externe Einflüsse.

Knowledge (Wissen): Wissen darüber, wie man sich verändert. Dies betrifft die Informationen, Fähigkeiten und Trainings, die benötigt werden, um die Veränderung erfolgreich umzusetzen. Es geht darum, wie man sich verändert, was neue Fähigkeiten oder Verhaltensweisen beinhalten kann.

Ability (Fähigkeit): Das Vermögen, die benötigten Fähigkeiten und Verhaltensweisen im täglichen Handeln umzusetzen. Es reicht nicht aus, nur das Wissen über die Veränderung zu haben; Individuen müssen auch in der Lage sein, das erlernte Wissen in praktische Fähigkeiten umzusetzen. Diese Fähigkeiten müssen oft durch Übung, Coaching oder Feedback weiterentwickelt werden.

Reinforcement (Verstärkung): Sicherstellen, dass die Veränderung beibehalten wird. Verstärkungsmechanismen können dazu beitragen, dass die Veränderung bestehen bleibt und nicht zu alten Gewohnheiten zurückgekehrt wird. Dies kann durch Belohnungen, Feedback und andauernde Unterstützung erreicht werden.

Proscis ADKAR-Modell ist sowohl linear als auch sequenziell, was bedeutet, dass jeder Schritt auf dem vorherigen aufbaut. Der Ansatz ist individuell zentriert und betont die menschliche Seite des Veränderungsmanagements, wodurch Organisationen besser verstehen können, wie sie ihre Teams durch den Veränderungsprozess führen können. Es dient oft als Diagnosewerkzeug, um Widerstände gegen Veränderungen zu identifizieren und spezifische Interventionen zu planen, die den Individuen helfen, durch den Veränderungsprozess zu navigieren.

Was this helpful?

Thanks for your feedback!